Warum Kleidung nicht vor sexueller Gewalt schützt – aber patriarchale Strukturen sie verschleiern
In konservativen und religiösen Kreisen wird oft behauptet, ein Kopftuch oder eine „sittsame“ Kleidung könne Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen. Doch diese Vorstellung ist nicht nur unbelegt, sondern auch gefährlich – sie lenkt von den wahren Ursachen sexueller Gewalt ab und verlagert die Verantwortung auf die Opfer.
- Sexuelle Gewalt ist unabhängig von Kleidung
Zahlreiche Studien zeigen, dass die Kleidung des Opfers keinerlei Einfluss auf das Risiko sexueller Übergriffe hat:
Eine Studie des United Nations Population Fund (UNFPA) stellt fest, dass Gewalt gegen Frauen „alle sozialen Schichten, Altersgruppen und Kleidungsstile“ betrifft.
In einem Bericht der WHO (2013) wurden weltweite Daten zu sexueller Gewalt analysiert – auch hier zeigte sich: Übergriffe geschehen unabhängig von kultureller oder religiöser Kleidung.
Beispiel: In Ländern wie Ägypten und Afghanistan, wo viele Frauen Kopftuch oder Ganzkörperverhüllung tragen, sind laut UN und Human Rights Watch Belästigungen dennoch massiv verbreitet.
(Quelle: Human Rights Watch, “We Are Still Here”: Women in Afghanistan Under Taliban Rule, 2022)
- Täterlogik: Kontrolle statt Schutz
Der Glaube, Frauen müssten sich bedecken, um „nicht provozierend zu sein“, stützt eine Täter-zentrierte Denkweise.
Eine systematische Untersuchung aus Kanada (Whatley, 2005) kam zu dem Schluss, dass die Zuschreibung von Schuld beim Opfer umso höher ist, je „unbedeckter“ es wahrgenommen wird – obwohl dies keinerlei Korrelation mit dem Täterverhalten aufweist.
Solche Vorstellungen begünstigen Täter-Opfer-Umkehr: Wer behauptet, eine Frau ohne Kopftuch sei selbst verantwortlich, entlastet systematisch den Täter.
- Das Kopftuch als moralischer Druck
Selbstbestimmtes Tragen eines Kopftuchs ist zu respektieren – aber es darf nicht zur Bedingung für Sicherheit gemacht werden. In vielen Gesellschaften fungiert religiöse Kleidung auch als soziales Kontrollinstrument, das Frauen moralisch bewertet und normiert.
In einem UNESCO-Bericht zu Geschlechterrollen (2019) wird deutlich, wie Kleiderregeln genutzt werden, um Frauen in eine bestimmte Rolle zu drängen – oft mit dem Vorwand des „Schutzes“.
(Quelle: UNESCO: Gender Norms and Cultural Change, 2019)
Fazit
Ein Stück Stoff schützt nicht vor Übergriffen – sondern oft nur das Ansehen des Systems, das Täter deckt und Frauen reguliert. Kleidung ist kein Schutzschild, sondern ein Symbol, das allzu oft instrumentalisiert wird. Was wirklich schützt, ist:
rechtliche Gleichstellung,
Bildung,
sexuelle Selbstbestimmung
und ein gesellschaftliches Klima, das die Schuld eindeutig den Tätern zuweist.
Respekt beginnt nicht mit dem Schleier – sondern mit der Haltung.
Quellen (Auswahl):
WHO (2013): Global and regional estimates of violence against women
UNFPA (2021): Sexual violence: global data
Human Rights Watch (2022): Afghanistan: We Are Still Here
UNESCO (2019): Gender Norms and Cultural Change
Whatley, M. A. (2005): Attitudes toward women and rape myth acceptance