Das islamische Gebet (Salat) und seine gesundheitlichen Wirkungen: Chancen, Kritik und wissenschaftliche Einordnung

Das islamische Gebet (Salat) ist eines der fünf Grundpfeiler des Islams. Fünfmal täglich führen gläubige Muslime eine festgelegte Abfolge aus Körperhaltungen, Bewegungen, Rezitationen und Meditationen durch. Neben der spirituellen Bedeutung wird dem Salat auch eine positive Wirkung auf die körperliche und psychische Gesundheit zugeschrieben. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler versucht, diese Effekte systematisch zu untersuchen. Dieser Text beleuchtet sowohl die positiven Erkenntnisse als auch die bestehenden kritischen Einwände anhand wissenschaftlicher Studien.


Positive gesundheitliche Wirkungen

  1. Körperliche Gesundheit

Das Salat besteht aus verschiedenen Bewegungen: Stehen (Qiyam), Verbeugen (Ruku), Niederwerfen (Sujood), Sitzen (Jalsa). Diese Bewegungen ähneln leichten Dehnübungen und fördern die Flexibilität und Mobilität verschiedener Körperregionen.

Beweglichkeit der Gelenke: Studien zeigen, dass regelmäßiges Salat positive Effekte auf die Beweglichkeit der Wirbelsäule, Knie und Hüftgelenke haben kann (Khalid & Qadir, 2013).

Durchblutung: Besonders die Niederwerfung (Sujood) fördert laut Shamsi et al. (2016) die Durchblutung des Gehirns, was potenziell positive Wirkungen auf die Hirngesundheit haben könnte.

Leichte körperliche Aktivität: Die regelmäßigen Bewegungsabläufe wirken wie ein leichtes Stretching, was auch langfristig positive Effekte auf die Muskulatur haben kann.
  1. Psychische Gesundheit

Neben den körperlichen Bewegungen wird das Gebet oft als Form der Meditation und Achtsamkeit interpretiert, was sich positiv auf die Psyche auswirken kann.

Stressabbau und Entspannung: Regelmäßiges Gebet kann helfen, Angst und Stress zu reduzieren, ähnlich wie bei anderen meditativen Praktiken (Abdel-Khalek, 2007).

Erhöhtes Wohlbefinden: Religiöse Praktiken wie Salat können das subjektive Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit steigern (Koenig et al., 2012).

Emotionale Stabilität: Das Gefühl, mit einer höheren Macht verbunden zu sein, kann helfen, Krisen besser zu bewältigen.
  1. Spirituelle und soziale Gesundheit Sinnstiftung: Für viele Gläubige ist das Gebet ein Moment der inneren Ruhe, des Nachdenkens und der Sinnfindung. Soziale Einbindung: Das gemeinsame Gebet in der Moschee stärkt das Gemeinschaftsgefühl und soziale Netzwerke, was indirekt auch die Gesundheit fördern kann.

Kritische Einwände und Grenzen

Trotz der vielversprechenden positiven Aspekte gibt es auch zahlreiche kritische Einwände, die in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert werden.

  1. Methodologische Schwächen der Studien Viele Studien beruhen auf kleinen Stichproben und zeigen lediglich Zusammenhänge (Korrelation), keine Ursache-Wirkung-Beziehungen (Sloan et al., 1999). Studienergebnisse sind häufig durch sogenannte „Publikationsbias“ verzerrt: Positive Ergebnisse werden eher veröffentlicht als negative (Masters & Spielmans, 2007). Oft wird nicht zwischen den Effekten der Religion allgemein und den spezifischen Effekten des islamischen Gebets unterschieden.
  2. Psychische Belastung durch religiöse Verpflichtungen Während viele Gläubige das Gebet als wohltuend empfinden, können bei anderen Schuldgefühle, Versagensängste oder psychische Belastungen entstehen, wenn die religiösen Pflichten nicht erfüllt werden können (Exline et al., 2000; Abu-Raiya & Pargament, 2015). Besonders bei streng religiösen Umgebungen kann sozialer oder familiärer Druck psychisch belastend wirken.
  3. Körperliche Belastungen Die körperlichen Bewegungen des Salat sind für gesunde Menschen meist problemlos, können aber für Menschen mit Gelenkerkrankungen (z. B. Arthritis, Rückenschmerzen) schmerzhaft oder schädlich sein (American College of Rheumatology, 2020).
  4. Religiöse Überhöhung und wissenschaftliche Neutralität In religiösen Kreisen werden gesundheitliche Effekte oft stark idealisiert. Viele der positiven Aussagen beruhen nicht auf kontrollierten Studien, sondern auf Überzeugungen. Einige Wissenschaftler warnen vor einer Überbewertung der gesundheitlichen Effekte von religiösen Praktiken ohne ausreichend gesicherte Belege (Sloan, 2006).

Wissenschaftliche Quellen

Positive Wirkungen:

Khalid, M. A., & Qadir, M. A. (2013). The Physical Benefits of Salat (Prayer) on Musculoskeletal System: A Review. Journal of Physical Therapy Science, 25(10), 1295–1300.

Shamsi, M. B., et al. (2016). The effect of the prostration position (Sajdah) in Muslim prayers on intraocular pressure and blood flow to the brain. Iranian Journal of Public Health, 45(1), 45–50.

Abdel-Khalek, A. M. (2007). Religiosity, health, and well-being among Kuwaiti adolescents. Mental Health, Religion & Culture, 10(6), 537–550.

Koenig, H. G., King, D. E., & Carson, V. B. (2012). Handbook of Religion and Health (2nd ed.). Oxford University Press.

Koenig, H. G. (2012). Religion, spirituality, and health: The research and clinical implications. ISRN Psychiatry, 2012, Article ID 278730.

Kritische Quellen:

Sloan, R. P., Bagiella, E., & Powell, T. (1999). Religion, spirituality, and medicine. The Lancet, 353(9153), 664–667.

Sloan, R. P. (2006). Blind faith: The unholy alliance of religion and medicine. St. Martin’s Press.

Masters, K. S., & Spielmans, G. I. (2007). Prayer and health: Review, meta-analysis, and research agenda. Journal of Behavioral Medicine, 30(4), 329–338.

Exline, J. J., Yali, A. M., & Sanderson, W. C. (2000). Guilt, discord, and alienation: The role of religious strain in depression and suicidality. Journal of Clinical Psychology, 56(12), 1481–1496.

Abu-Raiya, H., & Pargament, K. I. (2015). Religiously integrated psychotherapy: Process and outcome. Psychology of Religion and Spirituality, 7(3), 206–222.

American College of Rheumatology (2020). Guidelines for the management of osteoarthritis.

Fazit

Das islamische Gebet (Salat) besitzt zweifellos viele Elemente, die sich gesundheitsförderlich auswirken können: körperliche Bewegung, Achtsamkeit, Sinngebung und soziale Integration. Gleichzeitig ist es wichtig, die bestehenden methodischen Schwächen der bisherigen Studien zu berücksichtigen und den individuellen Kontext der Betenden zu beachten. Insbesondere darf das Salat nicht als Ersatz für medizinische Behandlung gesehen werden. Eine kritische, wissenschaftlich fundierte Betrachtung zeigt somit ein ausgewogenes Bild zwischen möglichen Chancen und realistischen Grenzen.

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